Zweites Buch. Die Lehre vom Wesen
Die Wahrheit des Seins ist das Wesen.
Das Sein ist das Unmittelbare. Indem das Wissen das Wahre erkennen will, was das Sein an und für sich ist, so bleibt es nicht beim Unmittelbaren und dessen Bestimmungen stehen, sondern dringt durch dasselbe hindurch, mit der Voraussetzung, daß hinter diesem Sein noch etwas anderes ist als das Sein selbst, daß dieser Hintergrund die Wahrheit des Seins ausmacht. Diese Erkenntnis ist ein vermitteltes Wissen, denn sie befindet sich nicht unmittelbar beim und im Wesen, sondern beginnt von einem Anderen, dem Sein, und hat einen vorläufigen Weg, den Weg des Hinausgehens über das Sein oder vielmehr des Hineingehens in dasselbe zu machen. Erst indem das Wissen sich aus dem unmittelbaren Sein erinnert, durch diese Vermittlung findet es das Wesen. - Die Sprache hat im Zeitwort sein das Wesen in der vergangenen Zeit, "gewesen", behalten; denn das Wesen ist das vergangene, aber zeitlos vergangene Sein.
Diese Bewegung als Weg des Wissens vorgestellt, so erscheint dieser Anfang vom Sein und der Fortgang, der es aufhebt und beim Wesen als einem Vermittelten anlangt, eine Tätigkeit des Erkennens zu sein, die dem Sein äußerlich sei und dessen eigene Natur nichts angehe.
Aber dieser Gang ist die Bewegung des Seins selbst. Es zeigte sich an diesem, daß es durch seine Natur sich erinnert, und durch dies Insichgehen zum Wesen wird.
Wenn also das Absolute zuerst als Sein bestimmt war, so ist es jetzt als Wesen bestimmt. Das Erkennen kann überhaupt nicht bei dem mannigfaltigen Dasein, aber auch nicht bei dem Sein, dem reinen Sein stehenbleiben; es drängt sich unmittelbar die Reflexion auf, daß dieses reine Sein, die Negation alles Endlichen, eine Erinnerung und Bewegung voraussetzt, welche das unmittelbare Dasein zum reinen Sein gereinigt hat. Das Sein wird hiernach als Wesen bestimmt, als ein solches Sein, an dem alles Bestimmte und Endliche negiert ist. So ist es die bestimmungslose einfache Einheit, von der das Bestimmte auf eine äußerliche Weise hinweggenommen worden; dieser Einheit war das Bestimmte selbst ein Äußerliches, und es bleibt ihr nach diesem Wegnehmen noch gegenüberstehen; denn es ist nicht an sich, sondern relativ, nur in Beziehung auf diese Einheit, aufgehoben worden. - Es wurde oben schon erinnert, daß, wenn das reine Wesen als Inbegriff aller Realitäten bestimmt wird, diese Realitäten gleichfalls der Natur der Bestimmtheit und der abstrahierenden Reflexion unterliegen und dieser Inbegriff sich zur leeren Einfachheit reduziert. Das Wesen ist auf diese Weise nur Produkt, ein Gemachtes. Die äußerliche Negation, welche Abstraktion ist, hebt die Bestimmtheiten des Seins nur hinweg von dem, was als Wesen übrigbleibt; es stellt sie gleichsam immer nur an einen anderen Ort und läßt sie als seiende vor wie nach. Das Wesen ist aber auf diese Weise weder an sich noch für sich selbst; es ist durch ein Anderes, die äußerliche, abstrahierende Reflexion; und ist für ein Anderes, nämlich für die Abstraktion und überhaupt für das ihm gegenüber stehenbleibende Seiende. In seiner Bestimmung ist es daher die in sich tote, leere Bestimmungslosigkeit.
Das Wesen aber, wie es hier geworden ist, ist das, was es ist, nicht durch eine ihm fremde Negativität, sondern durch seine eigene, die unendliche Bewegung des Seins. Es ist Anundfürsichsein, - absolutes Ansichsein, indem es gleichgültig gegen alle Bestimmtheit des Seins ist, das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin aufgehoben worden ist. Es ist aber nicht nur dies Ansichsein; als bloßes Ansichsein wäre es nur die Abstraktion des reinen Wesens; sondern es ist ebenso wesentlich Fürsichsein; es selbst ist diese Negativität, das Sich-Aufheben des Andersseins und der Bestimmtheit.
Das Wesen als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich ist so zunächst das unbestimmte Wesen; die Bestimmtheiten des Seins sind in ihm aufgehoben; es enthält sie an sich; aber nicht, wie sie an ihm gesetzt sind. Das absolute Wesen in dieser Einfachheit mit sich hat kein Dasein. Aber es muß zum Dasein übergehen; denn es ist Anundfürsichsein, d. h. es unterscheidet die Bestimmungen, welche es an sich enthält; weil es Abstoßen seiner von sich oder Gleichgültigkeit gegen sich, negative Beziehung auf sich ist, setzt es sich somit sich selbst gegenüber und ist nur insofern unendliches Fürsichsein, als es die Einheit mit sich in diesem seinem Unterschiede von sich ist. - Dieses Bestimmen ist denn anderer Natur als das Bestimmen in der Sphäre des Seins, und die Bestimmungen des Wesens haben einen anderen Charakter als die Bestimmtheiten des Seins. Das Wesen ist absolute Einheit des An- und Fürsichseins; sein Bestimmen bleibt daher innerhalb dieser Einheit und ist kein Werden noch Übergehen, so wie die Bestimmungen selbst nicht ein Anderes als Anderes, noch Beziehungen auf Anderes sind; sie sind Selbständige, aber damit nur als solche, die in ihrer Einheit miteinander sind. - Indem das Wesen
zuerst einfache Negativität ist, so hat es nun die Bestimmtheit, welche es nur an sich enthält, in seiner Sphäre zu setzen, um sich Dasein und dann sein Fürsichsein zu geben.
Das Wesen ist im Ganzen das, was die Quantität in der Sphäre des Seins war; die absolute Gleichgültigkeit gegen die Grenze. Die Quantität aber ist diese Gleichgültigkeit in unmittelbarer Bestimmung und die Grenze an ihr unmittelbar äußerliche Bestimmtheit, sie geht ins Quantum über; die äußerliche Grenze ist ihr notwendig und ist an ihr seiend. Am Wesen hingegen ist die Bestimmtheit nicht; sie ist nur durch das Wesen selbst gesetzt; nicht frei, sondern nur in der Beziehung auf seine Einheit. - Die Negativität des Wesens ist die Reflexion, und die Bestimmungen reflektierte, durch das Wesen selbst gesetzte und in ihm als aufgehoben bleibende.
Das Wesen steht zwischen Sein und Begriff und macht die Mitte derselben und seine Bewegung den Übergang vom Sein in den Begriff aus. Das Wesen ist das Anundfürsichsein, aber dasselbe in der Bestimmung des Ansichseins; denn seine allgemeine Bestimmung ist, aus dem Sein herzukommen oder die erste Negation des Seins zu sein. Seine Bewegung besteht darin, die Negation oder Bestimmung an ihm zu setzen, dadurch sich Dasein zu geben und das als unendliches Fürsichsein zu werden, was es an sich ist. So gibt es sich sein Dasein, das seinem Ansichsein gleich ist, und wird der Begriff. Denn der Begriff ist das Absolute, wie es in seinem Dasein absolut oder an und für sich ist. Das Dasein aber, das sich das Wesen gibt, ist noch nicht das Dasein, wie es an und für sich ist, sondern wie das Wesen es sich gibt oder wie es gesetzt wird, daher noch von dem Dasein des Begriffs unterschieden.
Das Wesen scheint zuerst in sich selbst oder ist Reflexion; zweitens erscheint es; drittens offenbart es sich. Es setzt sich in seiner Bewegung in folgende Bestimmungen:
I. als einfaches, ansichseiendes Wesen in seinen Bestimmungen innerhalb seiner;
II. als heraustretend in das Dasein oder nach seiner Existenz und Erscheinung;
III. als Wesen, das mit seiner Erscheinung eins ist, als Wirklichkeit.
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